Diskussion über Neuauflage von "Mein Kampf"
Am
8. Januar erscheint Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ in einer
wissenschaftlich kommentierten Ausgabe – das sorgt für
Diskussionen.
2013
legte die Bayerische Staatsregierung eine Kehrtwende hin und zog ihre
Unterstützung der Edition zurück. Seitdem tobt ein Streit zwischen Gegner und
Befürwortern. Bildungsministerin Wanka und Lehrerverbände fordern,
das Werk im Unterricht zu besprechen. Kritiker wie die frühere
Präsidentin des Zentralrats der Juden Charlotte Knobloch sind
prinzipiell gegen eine Veröffentlichung.
Hitler
schrieb das Buch zum Teil während seiner Haftzeit in
Landsberg.
Verantwortlich
für die wissenschaftlich kommentierte Fassung ist das Institut für
Zeitgeschichte in München. Ich konnte für HITRADIO RT1 ein
Interview mit Dr. Thomas Vordermayer führen. Der Augsburger hat
federführend an dem Projekt mitgearbeitet.
Was
konkret hat Sie daran gereizt und fasziniert?
„Mein
Kampf“ ist mit Abstand Hitlers wichtigste programmatische Schrift.
Dazu kommt, dass Hitler in diesem Werk so viel von sich und seiner
Persönlichkeit preisgibt wie nirgendwo sonst – trotz des
permanenten Versuchs der Selbstverschleierung. „Mein Kampf“ ist
außerdem der einzige Text von Hitler, der noch nicht editiert und
kommentiert ist. Von daher war es sehr reizvoll, an dem Projekt
mitwirken zu dürfen.
Am
8. Januar kommt das Werk auf den Markt. Wer soll es lesen?
Unser
Ziel war, das Ganze nicht nur für Fachwissenschaftler zu
konzipieren. Das Interesse in der Fachwelt ist natürlich enorm.
Gleichwohl war uns klar, dass es sich hier um einen Text handelt, der
nicht nur für Wissenschaftler von Interesse ist, sondern auch in der
breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Von daher haben wir
versucht, so zu arbeiten, dass es möglichst allgemeinverständlich
ist. 2012 war ja auch noch die Rede von einer Schulbuchausgabe. Das
ist passé, aber wir haben durchaus auch Lehrer als Interessenten vor
Augen gehabt. Sofern sie sich im Unterricht mit der NS-Ideologie
auseinandersetzen, ist unsere Edition sicher eine gewisse
Handreichung.
Das
Ganze polarisiert. Die einen finden es gut und wichtig, die anderen
sehen es kritisch, dass das Buch wieder auf den Markt kommt...
Bei
einem so kontroversen Thema kann man nicht mit einem allgemeinen
Konsens rechnen. Meines Erachtens nach ist der Text ja nicht aus der
Welt gewesen. Der Nachdruck war seit 1945 verboten, aber er steht im
Internet und ist auch in den Antiquariaten zu haben. Wer sich dafür
interessiert, hat das Buch auch in den vergangenen Jahrzehnten haben
können. Mit dem Ablauf der Urheberrechte haben wir jetzt eine neue
Situation und es besteht die Möglichkeit, dass es Nachdrucke in
großem Stil geben wird - auch auf die Gefahr hin, dass sich der ein
oder andere Verlag dann eine Anklage wegen möglicher Volksverhetzung
einhandelt. Es war aus meiner Sicht Aufgabe und Ziel, ein
wissenschaftliches Angebot zu unterbreiten, damit der Leser die
notwendigen Hintergrundinformationen bekommt. Diese benötigt man zum
Verständnis des Textes. Man muss sich klarmachen: Bei aller
logischen Schwäche und Widersprüchlichkeit sind in dem Werk viele
Anspielungen, Namen, Ereignisse und Zusammenhänge, die in den 20er
Jahren bekannt waren, heutzutage aber nur Experten etwas sagen. Von
daher entlarvt sich der Text nicht fortwährend selbst. Wir liefern
die Hintergründe dazu.
Als
Sie „Mein Kampf“ gelesen haben: Was ging Ihnen durch den Kopf?
Denkt man da: „Was für ein Unsinn!“?
Für
die wissenschaftliche Arbeit sind Gefühle natürlich eher
hinderlich. Das muss man ausblenden. Der Text hinterlässt je nach
Kapitel sehr unterschiedliche Eindrücke. Der Text ist 750 Seiten
lang und keine Aneinanderreihung beispielloser Stilblüten. Hitler
schreibt über viel mehr Gegenstände als man erwarten könnte. Es
geht natürlich um seinen Antisemitismus und die rigorose
Bereitschaft zum Krieg oder die gebetsmühlenartig wiederholte
Beleidigung der Weimarer Staatsführung. Das ist alles zentral für
den Text. Gleichzeitig geht es aber auch um Themen, die man so gar
nicht erwartet hätte wie zum Beispiel ein Kapitel über die
Geschichte des Föderalismus. Insgesamt gibt diese Quelle viel mehr
über Hitlers Weltbild preis als ich anfangs dachte.
Ist
es tatsächlich eine Art Fahrplan für das, was später erschreckende
Realität wurde?
Teils
ja, teils nein. „Mein Kampf“ ist keine Blaupause für das Dritte
Reich, das wäre eine Überinterpretation. Gleichzeitig wäre es auch
ein Fehler, so zu tun als wäre es alles nur Gefasel, das später bei
der Machtergreifung keine Rolle mehr gespielt hat. Ein Aspekt, der
sich durch den Text zieht, ist die Bereitschaft zum Krieg. Es gibt
auch Passagen, die ich in dieser Deutlichkeit nicht erwartet hätte.
So fordert Hitler eindeutig Zwangssterilisationen, was ja wirklich
traurige Realität geworden ist. Das sind Maßnahmen, die Hitler
vollkommen ungeschminkt von einem künftigen „völkischen Staat“
fordert. Hier sind ganz klar Parallelen zu sehen.
Was
hat Hitler angetrieben? Was war seine Motivation?
Gerade
als Hitler in Landsberg in Haft saß, war für ihn der Prozess der
Selbstfindung sehr wichtig. Er hat zu dieser Zeit sehr viel gelesen.
Er hat die Festungshaft genutzt, um das, was er gelesen, gehört und
gedacht hat, in ein für ihn logisches Gesamtbild zu bringen.
Gleichzeitig hatte er den Anspruch, innerhalb der heterogenen
völkischen Bewegung als der ideologische Führer aufzutreten und die
Deutungshoheit zu haben. Er wollte sich gegenüber anderen Autoren
durchsetzen. Dazu kam noch, dass Hitler durch diverse juristische
Auseinandersetzungen in Geldnot steckte und deshalb auch ökonomische
Motive hatte.
Brauchen
Sie jetzt nach dieser jahrelangen Arbeit erst einmal eine Pause von
Hitler?
Wenn
ich ein nächstes Forschungsprojekt anstoßen würde, hätte es
sicher nichts mit Hitler und dem Nationalsozialismus zu tun. Es
bleibt ein Thema, das mich in der Forschung begleiten wird,
allerdings muss man sich auch andere Standbeine schaffen und sich
mehr als eine Expertise erwerben. Nach drei Jahren tagtäglicher
Beschäftigung mit „Mein Kampf“ hat man ein Stück weit auch
genug. Gleichzeitig freue ich mich, dass das Buch jetzt dann
erscheinen wird und bin gespannt auf die Reaktionen der
Öffentlichkeit.
Dr.
Thomas Vordermayer studierte an der Universität Augsburg im
Hauptfach Neuere und Neueste Geschichte und machte 2008 seinen
Abschluss. 2009 entschied er sich dazu, seine Doktorarbeit der
Geschichte der völkischen Bewegung – gewissermaßen der
ideengeschichtliche Vorläufer des Nationalsozialismus - zu widmen.
Im Jahr 2012 schloss er seine Promotion ab und begann danach seine
Tätigkeit am Institut für Zeitgeschichte.
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