Freitag, 25. Dezember 2015

"Rigorose Bereitschaft zum Krieg"

Diskussion über Neuauflage von "Mein Kampf"

Am 8. Januar erscheint Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ in einer wissenschaftlich kommentierten Ausgabe – das sorgt für Diskussionen.

2013 legte die Bayerische Staatsregierung eine Kehrtwende hin und zog ihre Unterstützung der Edition zurück. Seitdem tobt ein Streit zwischen Gegner und Befürwortern. Bildungsministerin Wanka und Lehrerverbände fordern, das Werk im Unterricht zu besprechen. Kritiker wie die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden Charlotte Knobloch sind prinzipiell gegen eine Veröffentlichung.

Hitler schrieb das Buch zum Teil während seiner Haftzeit in Landsberg.

Verantwortlich für die wissenschaftlich kommentierte Fassung ist das Institut für Zeitgeschichte in München. Ich konnte für HITRADIO RT1 ein Interview mit Dr. Thomas Vordermayer führen. Der Augsburger hat federführend an dem Projekt mitgearbeitet.

Was konkret hat Sie daran gereizt und fasziniert?

Mein Kampf“ ist mit Abstand Hitlers wichtigste programmatische Schrift. Dazu kommt, dass Hitler in diesem Werk so viel von sich und seiner Persönlichkeit preisgibt wie nirgendwo sonst – trotz des permanenten Versuchs der Selbstverschleierung. „Mein Kampf“ ist außerdem der einzige Text von Hitler, der noch nicht editiert und kommentiert ist. Von daher war es sehr reizvoll, an dem Projekt mitwirken zu dürfen.

Am 8. Januar kommt das Werk auf den Markt. Wer soll es lesen?

Unser Ziel war, das Ganze nicht nur für Fachwissenschaftler zu konzipieren. Das Interesse in der Fachwelt ist natürlich enorm. Gleichwohl war uns klar, dass es sich hier um einen Text handelt, der nicht nur für Wissenschaftler von Interesse ist, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Von daher haben wir versucht, so zu arbeiten, dass es möglichst allgemeinverständlich ist. 2012 war ja auch noch die Rede von einer Schulbuchausgabe. Das ist passé, aber wir haben durchaus auch Lehrer als Interessenten vor Augen gehabt. Sofern sie sich im Unterricht mit der NS-Ideologie auseinandersetzen, ist unsere Edition sicher eine gewisse Handreichung.

Das Ganze polarisiert. Die einen finden es gut und wichtig, die anderen sehen es kritisch, dass das Buch wieder auf den Markt kommt...

Bei einem so kontroversen Thema kann man nicht mit einem allgemeinen Konsens rechnen. Meines Erachtens nach ist der Text ja nicht aus der Welt gewesen. Der Nachdruck war seit 1945 verboten, aber er steht im Internet und ist auch in den Antiquariaten zu haben. Wer sich dafür interessiert, hat das Buch auch in den vergangenen Jahrzehnten haben können. Mit dem Ablauf der Urheberrechte haben wir jetzt eine neue Situation und es besteht die Möglichkeit, dass es Nachdrucke in großem Stil geben wird - auch auf die Gefahr hin, dass sich der ein oder andere Verlag dann eine Anklage wegen möglicher Volksverhetzung einhandelt. Es war aus meiner Sicht Aufgabe und Ziel, ein wissenschaftliches Angebot zu unterbreiten, damit der Leser die notwendigen Hintergrundinformationen bekommt. Diese benötigt man zum Verständnis des Textes. Man muss sich klarmachen: Bei aller logischen Schwäche und Widersprüchlichkeit sind in dem Werk viele Anspielungen, Namen, Ereignisse und Zusammenhänge, die in den 20er Jahren bekannt waren, heutzutage aber nur Experten etwas sagen. Von daher entlarvt sich der Text nicht fortwährend selbst. Wir liefern die Hintergründe dazu.

Als Sie „Mein Kampf“ gelesen haben: Was ging Ihnen durch den Kopf? Denkt man da: „Was für ein Unsinn!“?

Für die wissenschaftliche Arbeit sind Gefühle natürlich eher hinderlich. Das muss man ausblenden. Der Text hinterlässt je nach Kapitel sehr unterschiedliche Eindrücke. Der Text ist 750 Seiten lang und keine Aneinanderreihung beispielloser Stilblüten. Hitler schreibt über viel mehr Gegenstände als man erwarten könnte. Es geht natürlich um seinen Antisemitismus und die rigorose Bereitschaft zum Krieg oder die gebetsmühlenartig wiederholte Beleidigung der Weimarer Staatsführung. Das ist alles zentral für den Text. Gleichzeitig geht es aber auch um Themen, die man so gar nicht erwartet hätte wie zum Beispiel ein Kapitel über die Geschichte des Föderalismus. Insgesamt gibt diese Quelle viel mehr über Hitlers Weltbild preis als ich anfangs dachte.

Ist es tatsächlich eine Art Fahrplan für das, was später erschreckende Realität wurde?

Teils ja, teils nein. „Mein Kampf“ ist keine Blaupause für das Dritte Reich, das wäre eine Überinterpretation. Gleichzeitig wäre es auch ein Fehler, so zu tun als wäre es alles nur Gefasel, das später bei der Machtergreifung keine Rolle mehr gespielt hat. Ein Aspekt, der sich durch den Text zieht, ist die Bereitschaft zum Krieg. Es gibt auch Passagen, die ich in dieser Deutlichkeit nicht erwartet hätte. So fordert Hitler eindeutig Zwangssterilisationen, was ja wirklich traurige Realität geworden ist. Das sind Maßnahmen, die Hitler vollkommen ungeschminkt von einem künftigen „völkischen Staat“ fordert. Hier sind ganz klar Parallelen zu sehen.

Was hat Hitler angetrieben? Was war seine Motivation?

Gerade als Hitler in Landsberg in Haft saß, war für ihn der Prozess der Selbstfindung sehr wichtig. Er hat zu dieser Zeit sehr viel gelesen. Er hat die Festungshaft genutzt, um das, was er gelesen, gehört und gedacht hat, in ein für ihn logisches Gesamtbild zu bringen. Gleichzeitig hatte er den Anspruch, innerhalb der heterogenen völkischen Bewegung als der ideologische Führer aufzutreten und die Deutungshoheit zu haben. Er wollte sich gegenüber anderen Autoren durchsetzen. Dazu kam noch, dass Hitler durch diverse juristische Auseinandersetzungen in Geldnot steckte und deshalb auch ökonomische Motive hatte.

Brauchen Sie jetzt nach dieser jahrelangen Arbeit erst einmal eine Pause von Hitler?

Wenn ich ein nächstes Forschungsprojekt anstoßen würde, hätte es sicher nichts mit Hitler und dem Nationalsozialismus zu tun. Es bleibt ein Thema, das mich in der Forschung begleiten wird, allerdings muss man sich auch andere Standbeine schaffen und sich mehr als eine Expertise erwerben. Nach drei Jahren tagtäglicher Beschäftigung mit „Mein Kampf“ hat man ein Stück weit auch genug. Gleichzeitig freue ich mich, dass das Buch jetzt dann erscheinen wird und bin gespannt auf die Reaktionen der Öffentlichkeit.

Dr. Thomas Vordermayer studierte an der Universität Augsburg im Hauptfach Neuere und Neueste Geschichte und machte 2008 seinen Abschluss. 2009 entschied er sich dazu, seine Doktorarbeit der Geschichte der völkischen Bewegung – gewissermaßen der ideengeschichtliche Vorläufer des Nationalsozialismus - zu widmen. Im Jahr 2012 schloss er seine Promotion ab und begann danach seine Tätigkeit am Institut für Zeitgeschichte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen