Montag, 10. Oktober 2016

„Dieser wissende Blick“


Wie ein Krankenhauschef das Schicksal eines ermordeten Augsburger Jungen aufdeckt - Die Geschichte zum Kinofilm "Nebel im August"


Ohne Michael von Cranach hätte die Geschichte von Ernst Lossa nie irgendjemand erfahren. Aber 1980 steigt der damalige Leiter des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren runter in den Keller, um im Archiv über die Vergangenheit des Hauses zu forschen – eine düstere, schaurige Vergangenheit, wie er schnell merkt: „Schon in den ersten Tagen wurde mir klar: Hier muss etwas Schlimmes passiert sein. Die Atmosphäre war düster und grau. Die Haltung der Ärzte war unvorstellbar distanziert, die Lebenssituation der Patienten grauenvoll: Viele waren fixiert in großen Sälen, überall geschlossene Stationen.“

Fast 300.000 Opfer

Menschen, die anders waren, aus Sicht der Nationalsozialisten minderwertig, wurden im Dritten Reich umgebracht. Insgesamt fast 300.000 Menschen, auch in Kaufbeuren wurde gemordet. Unter den Opfern war auch ein 14 Jahre alter Junge, Ernst Lossa. Geboren in Augsburg. Sein Schicksal lässt von Cranach nicht mehr los. „Als ich das Foto sah, war ich sehr beeindruckt. Ich klappte die Krankengeschichte auf und sah das Foto, auf dem uns der Bub so wissend und tiefgründig anschaut, so dass ich angefangen habe zu recherchieren.“

Fragen von damals sind aktueller denn je

Lossa, kurzgeschorene Haare, Lausbuben-Blick. Er stammt aus einer Familie von Jenischen, die von den Nazis als Zigeunerplage verfolgt wurden. Zwei Kinderheime wurden mit dem aufsässigen Ernst nicht fertig, er wurde nach Kaufbeuren abgeschoben. Das war sein Todesurteil. 
 
Filmproduzent Ulrich Limmer hat Ernst Lossa jetzt auf die Kinoleinwand gebracht, nachdem er jahrelang dafür gekämpft hatte. Denn: Die Fragen von damals sind heute wieder aktueller denn je, so Limmer: „Gibt es jemanden, der es sich erlauben kann zu sagen 'Der ist unwürdig zu leben oder der darf hier nicht leben'? Oder er ist andersfarbig oder denkt anders und wird deshalb an den Rand der Gesellschaft gedrängt und letztlich auch ermordet. Das hat erschreckenderweise an Aktualität in keiner Weise verloren.“ Es ist der erste Kinofilm zum Thema „Euthanasie“ überhaupt. Die Vorlage lieferte der Bestseller von Robert Domes, der den Stoff zu einem Roman verarbeitet hatte.
Sogar nach Kriegsende wurden in Kaufbeuren noch fast zwei Monate lang Menschen getötet. Nach 1945 gab es keine Zäsur. Wenige Täter wurden zu harmlosen Strafen verurteilt, der Großteil der Schwestern und Ärzte blieb und arbeitete jahrelang unbehelligt weiter in den Kliniken. 

"Nebel im August" läuft in Augsburg im Thalia.

http://nebelimaugust.de